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Dem Chef auf den Zahn gefühlt

Welcher Führungsstil erwartet den Bewerber beim potenziellen Arbeitgeber?

Die allerwenigsten Bewerber haken in dieser Thematik gezielt ein. Man beschränkt sich in der Regel auf ein Gespür dafür, ob mit dem neuen Chef und den potenziellen Kollegen ein gutes Einvernehmen denkbar ist oder nicht, also ob die berühmte „Chemie“ stimmt. Ein großes Risiko!

von Gerhard P. Hoppe

Eine Umfrage bei Vorständen bestätigte das, was in Fachkreisen schon ewig bekannt ist. Man vermisse schmerzlich insbesondere im Nachwuchsbereich ausreichendes Führungspotenzial. Und so wird nach wie vor der beste Verkäufer im Vertrieb zum neuen Vertriebsleiter und der beste Konstrukteur zum Chef einer mehrköpfigen Konstruktionsabteilung gekürt.

Schaut man unter diesem Aspekt in Groß- und Mittelbetriebe hinein, wundert man sich in Anbetracht dieser Mängelrüge darüber, wie wenig Bereitschaft gezeigt wird, dieses Defizit auszugleichen. Aus der Sicht eines Bewerbers lösen diese Erkenntnisse eine gewisse Ratlosigkeit aus. Wenn doch Potenziale fehlen, worauf lässt er sich beim Firmenwechsel ein? Letztendlich ist seine persönliche Existenzgrundlage inklusive seiner Karriereaussichten von Zustand und Umfeld der Unternehmung abhängig. Die wenigsten Engagements scheitern aus fachlichen Gründen. Die Risiken liegen mehr in den Faktoren, die die Persönlichkeit fordern und belasten. Für eine latente Unzufriedenheit bis hin zum berühmten Magengeschwür oder dem erneut notwendigen Unternehmenswechsel sind hauptsächlich Einflüsse aus dem Führungsbereich verantwortlich.
Während einerseits Führungspotenzial in Stellenanzeigen wie selbstverständlich erwartet und verlangt wird, scheint es andererseits schwer, Inhalte zu konkretisieren. Sieht man einmal vom Kapitel der Lieferterminzusagen ab, gibt es wohl kaum einen Bereich, in dem so viel gelogen und übertrieben wird, wie bei der Frage nach dem Selbstverständnis der betriebsinternen Mitarbeiterführung. Blumige Worte zur Firmenkultur auf der Homepage allein verbessern die Realität noch nicht. Das ist verständlich, wenn man sich das Wesen von Führung genauer ansieht. Zwar wird in Seminaren viel Technik vermittelt, Systematik empfohlen und zwischenmenschliche Prozesse verdeutlicht, aber Führung lässt sich nur bis zu einem gewissen Grad versachlichen. In der letzten Konsequenz geht es um die Frage, mit welchen Absichten, Motiven, also mit welcher Gesinnung eine Führungskraft ihrem Umfeld begegnet.

Was macht also die Führung eines Unternehmens aus? Versucht man alle Einflussfaktoren zu erfassen, lassen sich drei Ebenen erkennen: übergeordnete Wertesysteme, die Organisation der Führung und der individuelle Führungsstil einer Person.

Wertesysteme
Ob klar definiert oder unausgesprochen, es ist immer vorhanden: ein Wertesystem, das die Organisation beeinflusst. Unter diese Kategorie fällt eine Vielzahl von Leitmotiven, die hier und da durch globale Unternehmenszielsetzungen beschrieben werden. Da heute aber in der Breite keine Ethik mehr gelehrt wird, bleiben die Faktoren, die das Miteinander beeinflussen, zumeist unerkannt. Bestenfalls sieht sich eine Firmenleitung ermutigt, Spielregel für den Umgang mit Kunden zu definieren, weil dadurch schließlich der wirtschaftliche Erfolg beeinflusst wird. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass von der Chefetage ausgehend über die Führungskräfte auf allen Ebenen prägende Werte ins Unternehmen hineingetragen werden.

Die Organisation der Führung
Wenn Führung organisiert werden soll, muss sie als Aufgabenstellung erkannt und angenommen sein. Fundiertes Wissen um Führungsprinzipien und vor allem die Bereitschaft, in der betrieblichen Praxis Kontinuität zu entwickeln, sind erforderlich. Methodik und Arbeitsroutinen im Zusammenspiel aller Beteiligten sollten erkennbar sein. Gleichgültig wie die favorisierten Führungsprinzipien heißen, ob Teamarbeit betont wird, Jahresgespräche stattfinden, Zielvereinbarungen schriftlich festgehalten werden oder Shopfloor Management praktiziert wird, es muss auch erkennbar sein, dass es einen Wächter über die Spielregeln gibt und ein „Management by Zufall“ nicht gewollt ist.

Führungsstil
Das unmittelbar empfundene Klima im eigenen Umfeld reduziert sich auf den Führungsstil, den der Mitarbeiter vom unmittelbaren Vorgesetzten persönlich erfährt und schließt bei Führungskräften im Wesentlichen das Miteinander der Kollegen ein. Entscheidend sind dabei weniger die Formen einer Gesprächsführung als mehr die Art der zwischenmenschlichen Begegnung. Ist in einem definierten Wertesystem die Bereitschaft formuliert, Fehler mitzutragen, so offenbart sich die Wahrheit beispielsweise in der Reaktion des Chefs im eingetretenen Krisenfall. Der individuelle Führungsstil ist es schließlich, der den Mitarbeiter entweder ablehnende Kritik oder fördernde Anerkennung spüren lässt. Es ist klar, dass enge Zusammenhänge zwischen der Effizienz einer Unternehmung und dem Motivationsgrad aller Beteiligten besteht. Die Fülle der möglichen Einflussgrößen macht es einem Bewerber schwer, ein konkretes Bild des potenziellen Arbeitgebers im Vorfeld zu erfassen. Auch hier muss der erste Schritt darin bestehen, Klarheit darüber zu gewinnen, was man selbst vom neuen Umfeld erwartet. Suche ich Fairness, Beachtung meiner Leistung, einen eher betont kollegialen Umgang, die Unterstreichung der eigenen Statusbedürfnisse? Wo immer die Erwartungen liegen, sowie sie formulierbar sind, können für bevorstehende Vorstellungsinterviews gezielte Fragen erarbeitet werden. Die allerwenigsten Bewerber haken in dieser Thematik gezielt ein. Man beschränkt sich in der Regel auf ein Gespür dafür, ob mit dem neuen Chef und den potenziellen Kollegen ein gutes Einvernehmen denkbar ist oder nicht, also ob die berühmte „Chemie“ stimmt.

Vorbereitet sein ist alles
Zu den einzelnen Einflussebenen lassen sich gezielte Fragen stellen, aber selten macht es Sinn, sie mit erkennbarer Zielrichtung zu formulieren. Welche Antwort kann man schon vom Hausherrn erwarten, wenn man ihn zur Führungssituation in den eigenen Wänden fragt? Selbst wenn es gerechtfertigt wäre, Selbstkritik zu erwarten, ist unrealistisch. Indirekte Fragestellungen erzeugen dagegen ein verständlicheres Bild. „Wie würden Ihre engsten Mitarbeiter Ihren Führungsstil beschreiben?“ Auf diese Frage wird der potenzielle Chef vermutlich etwas nervös reagieren. Aber zuhören ist jetzt alles und achten Sie vor allem auf das, was er nicht sagt.

"Ist die Mitarbeiterführung im Unternehmen systematisiert und was werden Sie demnächst daran ändern?"
Bewusst wahrgenommene Führung lässt sich an installierten Systemelementen erkennen und der Hinweis auf anstehende Veränderungen lässt auch erkennen, was gerade nicht so gut läuft. Können Sie mit einem regelmäßigen Mitarbeitergespräch rechnen? Ist es üblich, Ziele zu vereinbaren und wie werden diese fixiert? Gibt es fortgeschriebene Jahresplanungen und wie kommen sie zustande? Ist die Organisationsstruktur darstellbar und eindeutig oder bekommt man von mehr als einem Chef Anweisungen? Gibt es Förderprogramme?

„Wie ist denn die letzte Mitarbeiterbefragung ausgefallen?“
Diese Frage macht nur in größeren Firmen Sinn, aber kann sehr aufschlussreich sein. Allein die Tatsache, dass es sie gibt, weist darauf hin, dass man zumindest auf einem guten Weg ist und die Zufriedenheit der Mitarbeiter nicht dem Zufall überlassen wird. "Wie gehen Sie als Chef mit Spannungen im Kreis Ihrer Mitarbeiter um?" In keinem Betrieb ist spannungsfreies Arbeiten möglich. Aber eine direkte Einflussnahme im Sinne eines positiven Konfliktmanagements leitet sich aus einem Wertesystem ab.

"Was wird zum Thema Führung oder Personalentwicklung aktiv hausintern unternommen?"
Wenn eine Unternehmensleitung eine gute Führung im Haus haben will, muss sie einiges dafür tun. Wird das vielgerühmte Bekenntnis ‘Unser größtes Kapital sind die Mitarbeiter‘ erkennbar gelebt, indem man dafür auch Geld ausgibt?

"Welche Entwicklung wünschen Sie sich von der Mitarbeiterführung im Haus?"
Hat man keine Probleme, so wird man zumindest etwas darüber sagen können, wie man vergangene bewältigt hat. Die einzig denkbare Alternative ist, dass man keine Probleme wahrnimmt, weil kein Bewusstsein für die Wichtigkeit dieser Aufgabenstellung existiert.

"Wie gehen Sie mit Trennungskonflikten um?"
Bewerber für Führungspositionen sollten sich für diese, sicherlich unübliche Frage interessieren. Der Geist des Hauses offenbart sich immer in Krisensituationen, also wie wird mit Mitarbeitern umgegangen? Die Antwort wird Härte oder Fairness durchschimmern lassen.

Zu den richtigen Fragen gehört das aufmerksame Zuhören. Antwortet der Gesprächspartner mit Absichtserklärungen und Gedanken, die in die Zukunft reichen, wird ebenso wenig Substanz vorhanden sein, wie wenn er die Unternehmenskultur auf der Homepage vorliest. Beschreibt er aber die Vergangenheit und führt Beispiele aus seiner Praxis an, kann seine Darstellung wertvolle Erkenntnisse liefern. Aber nicht allein die Fragetechnik, sondern auch eine geschärfte Wahrnehmung wird Aufschluss darüber geben, welche Chancen und welche Überraschungen hinter den Kulissen einer Organisation warten. Als Bewerber können Sie klimatische Bedingungen registrieren. Gibt es sichtbare Signale über die Arbeitsweise im Hause? Und wenn der Gesprächspartner der Chef selbst ist, lässt sich erkennen, ob er selbst seine Arbeit organisieren kann: wie oft klingelt zwischendurch das Telefon, wie oft geht die Tür auf, muss er sich zwischendurch für andere Besprechungen im Sinne von Simultanveranstaltungen ausblenden? Lässt man Sie ohne Begründung länger als 15 Minuten auf den Gesprächspartner warten? Spürt man Hektik oder Gelassenheit?

Wie auch immer Sie als Bewerber Ihre Fragen formulieren, bekunden Sie offen Ihr Interesse an dieser Thematik. Allein die Tatsache, ob man Sie mit Ihren Fragen ernst nimmt und in welchem Umfang man Ihnen bereitwillig Einblick in die Verhältnisse gewährt, gibt Aufschluss über den Geist, den Sie antreffen werden.

© 2023 Gerhard P. Hoppe
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